«Es braucht zusätzliche Anstrengungen»

Die Fachkräfteinitiative des Bundes fokussiert auf die Aktivierung älterer Arbeitskräfte, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommener und die kontinuierliche Weiterbildung. Damit wurden nach Ansicht von Peter Lüscher die richtigen Schwerpunkte gelegt. Der Geschäftsleiter der AIHK ist auch überzeugt, dass der Schlüssel zum Erfolg in der Klasse und nicht in der Masse der Ressourcen liegt – im Endeffekt habe der gezielte Umgang mit Mangelsituationen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer schon immer fit und innovativ gehalten.

 

    Peter Lüscher im Interview

Die Fachkräfteinitiative des Bundes, FKI, zielt auf die Ausschöpfung des inländischen Arbeitspotenzials. Dieses wird im internationalen Vergleich schon sehr gut ausgeschöpft...

Die Daten des Bundes belegen, dass seit dem Start der FKI im Jahr 2011 rund 400’000 Vollzeitstellen geschaffen wurden. Von diesen wurden gut 150’000 von der inländischen, mehrheitlich weiblichen Bevölkerung besetzt. Das zeigt das Potenzial und entschärft das Problem des Fachkräftemangels etwas. Dennoch braucht es weitere Anstrengungen auf verschiedensten Ebenen.

50+ ist ein Thema der FKI. Warum erhöhen wir nicht das Rentenalter und entlasten auch noch die AHV?

Mit Blick auf die demografische Entwicklung kommen wir nicht um diesen Schritt herum. Mit der Anhebung des Rentenalters steigt auch das faktische Rücktrittsalter. Schon jetzt arbeitet ein beträchtlicher Teil der Menschen nach der Pensionierung weiter, nicht immer Vollzeit, jedoch projektbezogen. Hier müssen wir neue Anstellungsformen finden – leider ist das umso schwieriger, je kleiner ein Betrieb ist.

Neben 50+ fokussiert die FKI auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die kontinuierliche Weiterbildung, die Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommener. Sind das die richtigen Schwerpunkte?

Ja, obschon die Integration von Flüchtlingen nur einen marginalen Anteil ausmacht. Das Potenzial bei den Frauen und den Überfünfzigjährigen ist bedeutender. Der Fächer der FKI ist sicher zweckmässig und der Erfolg lässt sich belegen, gerade im Gesundheitsbereich. Aber es wäre ein Trugschluss zu meinen, dass staatliche Massnahmen allein genügen. Parallel dazu müssen alle anderen Partner ihren Beitrag zum Erfolg beisteuern.

Welches sind neben dem Staat die anderen Partner bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels?

Der Bund soll die erforderlichen Informationen liefern, Gespräche initiieren und als bedeutender Arbeitgeber eine Vorbildrolle übernehmen. Daneben haben die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen die Aufgabe, für das Thema Fachkräftemangel zu sensibilisieren und Massnahmen im Rahmen der FKI zu konkretisieren.

Und die Arbeitgeber: Wo setzen diese bei der Umsetzung der FKI aus Ihrer Erfahrung schon heute an?

Wirkung entsteht letztlich nur von jenen Massnahmen, die in den Betrieben umgesetzt werden. Unabhängig von der Branche oder Grösse ist das Potenzial bei 50+ und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf am grössten. Firmen setzen deshalb hier in erster Linie an, bspw. mit Flexibilisierung der Arbeitszeit, Kinderbetreuung oder Altersteilzeit, um erfahrene Arbeitskräfte länger halten zu können.
Bei der Besetzung von Vakanzen mit Flüchtlingen respektive vorläufig Aufgenommenen ergreifen meistens die Branchenverbände die Initiative, etwa indem sie massgeschneiderte Programme entwickeln. Sie entlasten und unterstützen so Einsatzbetriebe.

Fachkräftemangel ist kein Aargauer, nicht einmal ein Schweizer Phänomen...

Das ist so, aber auch hier ist zu differenzieren: Einst wurden die meisten gewerblichen Dienstleistungen im Dorf bezogen. Heute stehen Schreiner und Maler in Konkurrenz zu überregionalen Anbietern: nicht alleine um Aufträge, sondern auch um Fachkräfte.
In anderen Bereichen stehen wir im globalen Wettbewerb. Unsere Pharmaindustrie oder das PSI in Würenlingen ziehen Forscher und Fachleute rund um den Erdball an, sie müssen sich auf globaler Ebene positionieren.
Unsere Wirtschaft ist sich seit jeher gewohnt, mit Herausforderungen wie dem Wettbewerb um die einzelnen Fachkräfte umzugehen. Und diese Situation wird sich höchstens dann massiv entschärfen, wenn die Wirtschaft in eine substanzielle Krise rutscht, was sich ja auch niemand wünscht.

Welche Unternehmen werden auf der Suche nach geeigneten Fachkräften erfolgreich sein?

Darüber entscheiden verschiedene Faktoren: Zuerst müssen Unternehmen wahrgenommen werden. Das ist für viele eine grosse Hürde. Wenn eine Firma nicht bekannt ist, nützt es ihr nichts, wenn sie einen interessanten Job in einem spannenden Umfeld zu attraktiven Konditionen bietet und damit eigentlich alle Kriterien erfüllt. Deshalb zielt eine der Initiativen des Kantons Aargau darauf ab, die Visibilität der Unternehmen zu erhöhen – oft haben ja nicht einmal die Einwohner eine Ahnung davon, was die Betriebe im Dorf machen. Im näheren Umfeld zu informieren, gehört zu den Aufgaben der Unternehmen, schafft Akzeptanz und hilft eventuell bei der Suche nach Arbeitskräften – das kann vom Kontakt mit den Schulen bis zum Besuchstag reichen.

Wie lässt sich dem Fachkräfteproblem wirksam entgegentreten?

Die Bekämpfung des Fachkräftemangels liegt nicht nur in der Rekrutierung entsprechend ausgebildeter Fachleute oder im Ausschöpfen des brach liegenden inländischen Potenzials. Das sind wichtige Teile des Puzzles. Daneben ist es nötig, das bestehende Potenzial von Beginn an zu nutzen: Wie bringen wir die Jungen zu einem Abschluss mit Qualifikationen, die ihnen sowie unserer Wirtschaft dienen? Wie motivieren wir Berufsleute, sich kontinuierlich weiterzubilden? Es müssen alle an ihrem Platz, in ihrer Funktion ihren Beitrag leisten, um der Herausforderung so gut wie nur möglich zu begegnen.
Ein Schlüssel liegt meines Erachtens im klaren Fokus auf der Qualität und nicht ausschliesslich auf der Quantität der Ressourcen. Und trotz aller Anstrengungen werden wir nicht darum herumkommen, dass wir einen gewissen Anteil an erforderlichen Fachkräften aus dem benachbarten Ausland, oder darüber hinaus, holen müssen.

Lässt sich das Problem Fachkräftemangel überhaupt lösen?

Das Problem kann und soll meines Erachtens gar nicht vollständig gelöst werden: Denn die Alternative zum Mangel ist ein Überschuss an Fachkräften, was mehr Probleme zur Folge hätte. Wir müssen auch mit unseren menschlichen Ressourcen sparsam umgehen und uns überlegen, wie wir diese am effizientesten und effektivsten einsetzen. Diese Überlegungen zum Umgang mit Mangel halten uns fit und führen zu Innovationen. Dieser Druck ist nicht nur gut für unsere Wirtschaft, er ist auch ein Zeichen dafür, dass es ihr und damit uns gut geht.

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Peter Lüscher
Geschäftsleiter AIHK
lic. iur.