«Ohne diese Leute könnten wir schliessen»

Ein Fokus der Fachkräfteinitiative gilt dem Potenzial von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen. Wie die Zusammenarbeit im Alltag aussieht, wo die Schwierigkeiten liegen und was zum Erfolg führt, zeigt das Interview mit Willy Nyffenegger, Chef des Seehotel Hallwil.

Interview Seehotel Hallwil

Willy Nyffenegger im Interview

Herr Nyffenegger, wie lange beschäftigen Sie schon Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene im Seehotel Hallwil?

Schon sehr lang – ich schätze zwischen 15 bis 20 Jahren. Dies machen wir vorwiegend in Absprache mit dem Sozialamt, früher auch mit der Pforte Arbeitsmarkt. Unsere Partner kennen unseren Bedarf auch anhand der saisonalen Entwicklungen. Vorschläge werden besprochen und geprüft. Faktoren wie Schicht- und Wochenendarbeit und Erreichbarkeit sind dabei von Anfang an zentrale Kriterien. Bei der Zusammensetzung des Teams spielen Alter und Hierarchie eine wichtige Rolle: Der Älteste erklärt den Jüngeren, wie es läuft! Auf diese Weise konnten wir wiederholt sehr gute Mitarbeitende anstellen. Zurzeit sind es drei Personen aus Eritrea.

Wie läuft ein Bewerbungsprozess ab?

Sprachliche Aspekte werden im Rahmen einer Probelektion unter Beizug eines «Götti» ausgelotet. Am Arbeitsplatz versteht man sich dann sehr schnell oder nie. Da die verbale Kommunikation in der Gastronomie oft auf ein Minimum reduziert ist, spielt die nonverbale Komponente eine sehr wichtige Rolle. Insgesamt gilt aber: Versteh ich nicht, geht nicht!

Welche Qualifikationen müssen die Leute mitbringen?

Es braucht nicht viele schulische Qualifikationen. Für den guten Einstieg viel wichtiger sind Interesse, die Bereitschaft, sich mit unserer Kultur auseinanderzusetzen und der Wille die Tagesstrukturen zu meistern. Eine Herausforderung in Bezug auf die Arbeitszeiten ist beispielsweise die Frage, wie die Leute spät nachts noch nach Hause gelangen. Unsere Lage direkt am See ist zwar attraktiv, mit der Anbindung an den ÖV sieht es allerdings nicht sehr gut aus. Die Leute müssen diesbezüglich flexibel sein. So gibt es Leute, die mitten in der Nacht mehrere Kilometer nach Hause marschieren.

Was müssen Sie als Arbeitgeber mitbringen?

Nur zwei Dinge: Geduld und Durchhaltewillen.

Wo orten Sie die grössten Schwierigkeiten?

Das steht die Sprache sicher zuoberst. Wer nicht versteht oder nicht verstanden wird, der bekundet sehr schnell Schwierigkeiten. An zweiter Stelle folgen Fragen der Herkunft und des Glaubens.

Welche Geschichten stehen hinter diesen Menschen?

Sie erzählen wenig davon, woher sie kommen. Ich stelle fest, dass sie sich vorwiegend mit ihrer Gegenwart auseinandersetzen.

Wieso findet man diese Fachkräfte so oft in der Gastronomie und Hotellerie?

Vielleicht sind es auch soziale Aspekte – immerhin bringen Gastronomie und Hotellerie Menschen an einem Ort, an einem Tisch zusammen. Sicher sind diese Menschen nicht stark qualifiziert. Bei uns arbeiten sie in Tagesstrukturen, wir garantieren ihnen ein Grundeinkommen und sie können sich an unsere Art, zu leben und zu arbeiten, gewöhnen. Ich betrachte es als ein Privileg, Menschen eine Chance, eine Perspektive zu geben.

Und die diesbezüglichen Vorbehalte gegenüber Ihrer Branche?

Wie gesagt: unsere Branche steht bereit, diesen Leuten spannende Möglichkeiten zu bieten. Es ist schlicht nicht richtig, dass wir billige Arbeitskräfte ausnützen oder das Auffangbecken sind für alle, die sonst keinen richtigen Job erledigen können, um eine Wertschöpfung zu generieren. Und nach wie vor kann ich zwischen mehreren qualifizierten Kandidaten auswählen, was angesichts des Fachkräftemangels schon fast ein Luxusproblem darstellt.

In welchen Bereichen arbeiten die Leute?

Sie werden von Anfang an in der Werterhaltung und als Allrounder eingesetzt. Die meisten beginnen in der Küche, das ist die bekannte Tellerwäscherkarriere. Stellen Sie sich vor, sie spülen tagtäglich von früh bis spät Geschirr und haben am Abend immer noch schmutzige Teller vor sich! Hier braucht es Integration in und Wertschätzung durch das Team! Darauf bauen wir auf, um sie danach je nach Entwicklung als Chauffeur, als Allrounder rund um das Haus, als Hilfsköche, am Grill oder am Buffet einzusetzen.

Erfolgt die Ausbildung nach einem festen Plan?

Nein. So unterschiedlich die Leute sind, so unterschiedlich wird beschäftigt und ausgebildet, gefördert und gefordert, gehandelt und verhandelt.

Und die Integration abseits der Arbeit?

Aufgrund des Verhaltens und im Rahmen von persönlichen Gesprächen stösst man auf Probleme, entdeckt Interessen. Ein Dauerproblem sind die Krankenkassen, da konnten wir schon mehrmals Personen aus unsäglichen Situationen befreien. Anderseits besteht oft der Wunsch, Auto fahren zu dürfen. Wir informieren die Flüchtlinge über ihre Möglichkeiten und finden für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen. Wir erhöhen so die Mitarbeiterbindung und gewinnen erst noch einen Fahrer für uns.

Wie ist die Akzeptanz der anderen Angestellten und umgekehrt?

Ohne Akzeptanz geht gar nichts. Wer hilft, dem wird auch geholfen. Wie bei den Arbeiten werden bei Teamanlässen alle miteinbezogen respektive mitgenommen, auch die Trinkgelder werden zu gleichen Teilen unter allen Mitarbeitenden aufgeteilt.

Was sind Ihre Ziele bei der Integration der Flüchtlinge?

Mit einer Beschäftigung verfügen diese Leute über einen strukturierten, klar definierten Tagesablauf. Das sichere Einkommen hilft ihnen, diese Einschränkung zu akzeptieren. Gleichzeitig sinkt die Gefahr, dass diese Leute in die Kriminalität abrutschen. Durch die Arbeit im Team lernen sie unter dem Motto «Learning by Doing» unsere Sprache und die hiesigen Umgangsformen.

Die Flüchtlinge profitieren also auch?

Erlauben Sie mir eine Aussage: Wer ein Jahr im Seehotel Hallwil mitgearbeitet hat, der oder die besteht sowohl in der beruflichen als auch in der privaten Welt.

Wo endet diese Tellerwäscherkarriere?

Ein Flüchtling arbeitet seit sechs Jahren für uns. Heute lebt er mit seiner Familie in einer eigenen Wohnung, eines der drei Kinder geht hier in den Kindergarten. Ich denke, wir müssen vermehrt dafür sorgen, dass wir auch Leute nachziehen, die sich über ihre Arbeit und nicht nur über ihre schulischen Leistungen weiterentwickeln können. Wir müssen die Arbeiter fördern, weil wir sie dringend brauchen.

Das bedeutet, der normale Arbeitsmarkt gibt diese Kräfte gar nicht her?

Genau. Es sind nicht nur Studienplätze, nicht nur Gesundheitsjobs, die besetzt werden müssen. Und mit den aktuellen politischen Entwicklungen ist es noch schwieriger geworden. Ein KMU wie wir hat nicht die personellen und zeitlichen Ressourcen für aufwändige Bürokratie. Mit der Stellenmeldepflicht beispielsweise ist die Sommersaison vorbei, bis wir endlich eine Stelle besetzt haben. Interessierte Flüchtlinge hingegen können innert ein paar Tagen die Arbeit aufnehmen. So gelingt es uns seit Jahren, die geeigneten Leute zur richtigen Zeit zu uns zu holen, schliesslich kennen wir auch eine Haupt- und Nebensaison. Dieser Automatismus funktioniert sehr gut und wir haben drei Fachkräfte bei uns, die ich alle weiterempfehlen könnte – ich behalte sie aber lieber im Betrieb. Sollten aber rechtliche Probleme auftauchen oder behördliche Ausweisungen anstehen, werden wir andererseits auch keine Einsprachen erheben.

Welches sind Ihre Erfolgsgeschichten?

Es ist ein Erfolg, wenn die Leute hier ein geregeltes Leben führen und ihren Beitrag leisten. Wenn sie sich für unseren Betrieb fast unersetzlich machen und bei ihrer Arbeit zufrieden sind. Wir formen hier keine hochqualifizierten Fachleute, aber wir geben Menschen die Chance, ein gutbürgerliches Leben zu führen und sich in diese Welt zu integrieren.

Wie sieht es mit Misserfolgen aus?

Die gibt es regelmässig und nicht zu knapp. So kann es im Frühling vorkommen, dass die erste, die zweite, die dritte Person nicht reüssiert. Da herrscht ein Kommen und ein Gehen, was zu einem enormen administrativen Aufwand führt. Es braucht einfach sprachliche Fähigkeiten, Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten und man erkennt schnell, ob’s funktioniert. Der Einstieg für Nicht-Gastro-Erfahrene ist sehr hart – das wird nach wie vor zu oft unterschätzt.

Sie zählen demnach auch in Zukunft auf diese Arbeitskräfte?

Das ist so, weil wir schlicht und ergreifend keine anderen finden. Ohne diese Leute könnten wir den Laden dicht machen. Aber davon gehe ich bis auf weiteres nicht aus. An unserem System brauchen wir nichts zu ändern. Und wir hoffen bei jedem Wechsel, dass wir wieder interessante Kandidatinnen und Kandidaten finden, um mit Ihnen einen gezielten Aufbau zu machen.

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Willy Nyffenegger
Chef
Seehotel Hallwil