«Nur deswegen kommt niemand zu uns»

Goldvreneli und Goldbarren. Halbe Monatslöhne und längere Urlaube: Das AIHK-Mitglied Samuel Werder AG setzt im Kampf um die besten Fachkräfte auch auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dennoch sind ihre freiwilligen Leistungen nur das berühmte i-Tüpfelchen. Entscheidend ist das Gesamtpaket – auch da hat die Firma einiges zu bieten, wie der kaufmännische Geschäftsleiter Raphael Vögtli im Interview zeigt.

Interview Samuel Werder AG

Raphael Vögtli im Interview

Herr Vögtli, was macht die Samuel Werder AG?

Die Samuel Werder AG ist ein Lohnfertigungsbetrieb mit zurzeit 76 Mitarbeitenden. Auf unseren rund 70 Dreh- und Fräsmaschinen fertigen wir nach Zeichnungen und 3-D-Modellen unserer Auftraggeber aus der High-Tech-Industrie hochpräzise Teile aus verschiedenen Metallen und Kunststoffen. Unsere Kunden stammen aus unterschiedlichsten Branchen. Wir liefern Elemente für Kaffeemaschinen und Waagen, für Turbolader, für die Human- sowie die Veterinärmedizin etc. Unsere Märkte liegen in der Schweiz, hier werden unsere Teile in Maschinen montiert, bevor sie zumeist ins Ausland geliefert werden.

Spüren Sie den Fachkräftemangel?

Heute dauert es viel länger, bis wir die passenden Mitarbeitenden finden. Vor allem Polymechaniker, die unsere Maschinen programmieren, einrichten und für die Serienproduktion vorbereiten, sind sehr gesucht. Den Mangel spüren wir vor allem bei den ausgebildeten Fachkräften, etwas weniger bei den Lehrlingen. Dieses Jahr konnten wir unsere zwei Lehrstellen besetzen – unter anderem mit einem 28-Jährigen, der eine Umschulung absolviert.

Wie wirkt sich das Fehlen von Fachkräften konkret aus?

Zurzeit läuft die Wirtschaft auf Hochtouren. Fehlen Fachkräfte, ist es anspruchsvoller, die Auftragsvolumen zu bewältigen und die ohnehin knappen Termine zu halten. Eine Gegenmassnahme sind mehr Überzeiten.

Welches sind Ihre Mittel gegen den Fachkräftemangel?

Das grösste Potenzial orten wir in der Lehrlingsausbildung. Für uns ist es wichtig, gute Leute gut auszubilden und in die Arbeitswelt zu führen. Unser Berufsnachwuchs kommt zum Teil von sehr weit her, das unterstreicht unsere Attraktivität als Arbeitgeber respektive der Jobs, die wir anbieten. Unsere Mitarbeitenden bewegen sich im High-Tech-Bereich. Wenn jemand wirklich anspruchsvolle Sachen machen will, dann sind wir die richtige Adresse.

Wieso legen Sie so viel Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Der Fachkräftemangel ist ein Grund dafür. Gibt es zu wenige Leute auf dem Markt, muss man sich abheben und möglichst positiv verkaufen. Mit unserem Fokus auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigern wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber noch einmal. Diese Aspekte sind für uns als Familienunternehmen seit jeher wichtig. Drei Söhne des Familiengründers arbeiten in der Firma, wir sehen uns als grosse Familie. Unsere freiwilligen Leistungen sind authentisch, nicht aufgesetzt und nicht einfach Mittel zum Zweck.

Erreichen Sie Ihre Ziele mit diesen Massnahmen?

Es ist und bleibt äusserst anspruchsvoll, gute Fachkräfte zu finden. Der Erfolg ist nicht klar messbar, weil andere Faktoren ihren Einfluss ausüben Für uns sind die Leistungen im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf das Tüpfelchen auf dem i.

Die Fachkräfteinitiative setzt ebenfalls auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ...

Unsere Initiativen auf diesem Feld reichen weiter zurück, da sind wir dem Bund etwas voraus. Familienfreundlich und sozial waren wir schon immer. Neben dem Aargauer Unternehmerpreis 2015 haben wir 2009 auch den Sozialpreis der aargauischen Landeskirchen und 2013 den This-Priis erhalten, da wir überdurchschnittlich viele Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps beschäftigen. Die Arbeiten zur Erreichung des Prädikats Familie UND Beruf haben wir im Jahr 2012 in Angriff genommen. Bei allen aktuellen und zukünftigen Massnahmen steht für uns die Langfristigkeit im Vordergrund. Von einem familiären, sozialen Umfeld profitieren unsere Mitarbeitenden täglich.

Was steckt hinter dem Prädikat Familie UND Beruf?

Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und darum, ein attraktiverer Arbeitgeber zu sein. Die Familien der Arbeitnehmenden sollen gefördert werden. Denn wer gern für uns arbeitet, arbeitet besser und länger mit uns. Die Mitarbeitenden sind unser grösstes Gut – ohne sie läuft keine Maschine, nichts.

Um das Prädikat zu erhalten, durchlaufen die Firmen einen definierten Prozess mit Interviews, Gesprächen und Audits. Am Schluss steht eine Punktezahl, die über die Verleihung des Prädikats entscheidet. Nach drei Jahren folgt ein neuer Audit mit aktualisierten Massnahmen. Im Endeffekt muss man sich kontinuierlich verbessern und das vorhandene Potenzial ausschöpfen.

Können Sie uns ein paar freiwillige Leistungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf nennen?

Zur Geburt eines Kindes erhalten die Mitarbeitenden ein Goldvreneli in einer laserbeschrifteten Holzschachtel mit dem Namen und dem Geburtsdatum der Tochter, des Sohns. Zur Heirat erhalten die Mitarbeitenden 100 Gramm Gold, zu ihren Firmenjubiläen erhalten sie einen halben Monatslohn zusätzlich. Speziell erwähnenswert ist sicher auch der Vaterschaftsurlaub: Der beträgt zehn Tage und wurde seit seiner Einführung im Jahr 2012 insgesamt elf Mal in Anspruch genommen. Der Mutterschaftsurlaub dauert bei uns 24 Wochen, kam aber noch nie zur Anwendung.

Steht die Familie immer vor dem Beruf?

Da braucht es eine gute Balance. Gibt man den Mitarbeitenden viel Wertschätzung, dann kommt viel Leistung zurück. Da gilt es, mit gesundem Menschenverstand zu entscheiden. Wenn ein Kind erkrankt, dann muss der Mitarbeitende nach Hause. Dauert die Absenz länger, braucht es eine für alle tragbare Lösung – das erfordert neben Menschenverstand auch Vertrauen.

Wie wichtig sind Ihre freiwilligen Leistungen in Bewerbungsgesprächen?

Unsere Familienfreundlichkeit ist ein Nebensatz und kein Hauptargument, um jemanden für uns zu gewinnen. Nur darum kommt niemand zu uns. Die Fachkräfte arbeiten bei uns, weil vieles stimmt. Mit den freiwilligen Leistungen schnüren wir ein noch attraktiveres Gesamtpaket. Interessanterweise sind es meistens die Bewerbenden, die den Punkt ansprechen und positiv erwähnen.

Welche freiwillige Leistung bereitet am meisten Freude?

Das Goldvreneli zur Geburt eines Kindes steht sicher zuoberst. Das überreichen wir in einer Holzkiste, mit Namen und Geburtsdatum des Kindes – da überwiegen der emotionale Wert und der Stolz. Der halbe Monatslohn für ein Firmenjubiläum wird schneller ausgegeben und vergessen. Woran man sich sicher lange erinnert, ist der längere Vaterschaftsurlaub. Zwei Wochen Zeit für ein Neugeborenes sind wertvoll für die Familie und gut tragbar für die Firma. Die anderen Mitarbeiter haben ebenfalls Freude, dass ihr Kollege Vater geworden ist und helfen gerne, die Lücke zu schliessen.

Werden die halben Monatslöhne für Betriebsjubiläen oft ausgezahlt?

Definitiv. 26 von 76 Mitarbeitenden haben eine Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren und dies obwohl wir in den letzten Jahren stark gewachsen sind. Die längsten Betriebszugehörigkeiten liegen bei 30 Jahren, ein Mitarbeiter mit knapp 40 Jahren wurde wie andere Langjährige kürzlich pensioniert – es steckt also extrem viel Know-how in unserer Firma.

Sind Ihre Initiativen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Thema bei Ihren Auftraggebern?

Die meisten Kunden finden es gut, aber ein Argument, dass wir deswegen mehr Teile fertigen dürfen, ist es nicht – da stehen ganz andere Kriterien im Vordergrund. Es interessiert auch keinen, wenn ein Mitarbeiter wegen dem Vaterschaftsurlaub nicht arbeitet. Die Termine müssen eingehalten werden – das ist unabdingbar, wenn man in der Schweiz erfolgreich produzieren will.

Wie wichtig sind neben den freiwilligen Leistungen die weichen Faktoren?

Die Samuel Werder AG befindet sich in Familienbesitz. Wir sind ein Familienbetrieb, der sehr viel Wert auf diese familiären, familienfreundlichen Aspekte legt. Das zeigt sich auch daran, dass unsere Mitarbeitenden selber die Initiative ergreifen und Feste organisieren, sei es am 1. August, an Weihnachten oder zu anderen Anlässen. Die Teilnahme an diesen Events ist immer sehr hoch.

Auf welche der freiwilligen Leistungen freuen Sie sich persönlich am meisten?

Nächstes Jahr feiere ich 15 Jahre Betriebszugehörigkeit. Ich freue mich nicht nur darüber, sondern auch auf den zusätzlichen halben Monatslohn.

Wie geht es mit den freiwilligen Leistungen bei der Samuel Werder AG weiter?

Ende 2018 wurden wir wieder auditiert, die Massnahmenpläne liegen vor. Die nächsten drei Jahre arbeiten wir an der Umsetzung. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur.

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Raphael Vögtli
Kaufmännischer Geschäftsleiter, Verkaufs- und Qualitätsleiter
Samuel Werder AG